“Oh die See – die Rock das Boot Show” entstand als Auftragswerk für das Hamburger Schauspielhaus.
Eine übliche Deutung von Homer’s Irrfahrten-Epos ist: Der Mensch kann, wenn er klug und listenreich ist, selbstbestimmt leben, die zahlreichen Abenteuer überstehen, die ihm die Götter auferlegen, und damit zu sich selbst und “nach Hause” finden. Leider handelt die Geschichte aber von einem Despoten, Plünderer und Massenmörder. Es ist deshalb nicht für jeden einfach, mit Odysseus zu reisen. Die Figur seiner Frau Penelope hingegen bietet alles, was eine Heldin ausmacht: Sie ist schuldfrei, integer, stark, idealistisch, und sie trotzt der übermächtigen Meute von Zeitgeistvertretern.
Penelope besingen, ja. Aber kann sie einen Massenmörder lieben? Nein. Odysseus kann nur jemand sein, dessen Schuld zwar gross, aber noch tilgbar ist. So kann Penelope zum ethischen Fixpunkt werden, um den sich die Geschichte dreht. So kann sie sich von den Usurpatoren unterscheiden und die Geschichte ihren Sinn entfalten. Und die Musik? Sie sollte zur rebellischen Titelheldin passen – nicht affirmatives Establishment, sondern Gegenkultur. Punk. 24 Gesänge, komprimiert in 24 Punksongs. Passend, auch weil das Stück nicht von Sängern gesungen werden würde. Ich deckte meinen Komponisten Efim Jourist mit Referenzmaterial ein. Die Arbeit konnte beginnen.
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“Oh die See – die Rock das Boot Show” ist, wie der Namen ahnen lässt, eine Satire, genauer vielleicht eine pathetische Satire im Sinne Schillers: Die Vertreter einer erpresserischen, kriminellen Gesellschaftsordnung werden der unbequemen Odessa gegenübergestellt. Die Punkröhre ist den Herrschaften in mehrfacher Hinsicht ein Dorn im Auge: Während Hugo und seine Kumpels planlos auf den Weltmeeren herumirren, weiß Odessa was sie will und wehrt sich gegen die drohende Enteignung ihrer selbstständig erwirtschafteten Bar (“der schönsten der ganzen Stadt”)…
Gitarrist und Matrose Hugo, Partner von Odessa, muss nochmal auf See. Ein letztes Mal. Die absurd dramatische Irrfahrt Hugos und seiner Bande von Kumpels folgt Odysseus Spuren. Vor Casablanca gerät ihr Schiff in einen Sturm und geht unter. Die (ab da immer kleiner werdende) Bande Hugo’s rettet sich ans Ufer, vergnügt sich ein paar Tage in Casablanca, gerät auf den Drogenfrachter des Unterweltbosses Baron, versenkt ihn und blendet dabei den Sohn des Barons, gerät auf die Insel von Kirke, entkommt den Sirenengesängen auf Murdochs Luxusyacht, gerät in Rom in einen Hinterhalt zwischen Kirche und Mafia, wird in Haifa gerettet und fällt in Jerusalem einer Antiterroreinheit zum Opfer. Hugo, nun alleine, verliert auf dem Kreuzfahrtschiff Kalypso im Spiel und verdient dann jahrelang als Alleinunterhalter seine Schulden ab, tröstet sich dabei mit der Sängerin Paris Palace, entkommt, und wird schliesslich in Amsterdam von einer Rotlicht-Nausikaa aus dem Meer gerettet.
Hugo kommt nach zehn Jahren Irrfahrt zurück, geht im Schauspielhaus Hamburg vorbei, wo sein Vater andauernd nichts als Bettler spielt, und spaziert schliesslich in verregneter Nacht in Odessa’s Bar… Anstatt alle niederzumähen, spielt er auf seiner alten Gitarre ein wahres Lied und schenkt – quasi durch inneres Leuchten – dem Sohn des Barons, der rachsüchtg auf ihn gewartet hatte, das Augenlicht wieder. Die Kunst zu der Hugo fähig ist, nachdem er sich gefunden hat, ist von heilender Kraft. Der Vorgang hat sogar ansteckende Wirkung und so kommt es zur allgemeinen Umarmung.
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Satire ist ein Genre, das seinen Autoren Ruhm, Ehre, Reichtum, ewiges Leben und sogar die Präsidentschaft verschaffen kann, oft aber auch nur Schmähung, Verbannung, Tod und schlechte Kritiken. Die Unwahrscheinlickeit eines wesentlichen Erkenntnisprozesses bei kriminellen Machthabern findet zum Beispiel nicht jede Gesellschaft lustig. Wir leben schliesslich in einer Zeit, da sogar Karikaturisten und Satiriker wie die Macher der “Simpsons” um Ihr Leben fürchten müssen. In manchen Fällen hilft es, den Namen zu wechseln wie Odysseus:
Altona – “Name” (Aufnahme von der Premiere)
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Jana Schulz – Odessa, Sirene
Sören Wunderlich – Penner, Hugo
Birgit Stöger – Ami, Circe, Sirene
Monique Schwitter – Dani, Calypso, Sirene
Lucia Peraza Rios – Lulu, Nausikaa, Sirene
Jürgen Uter – Baron, Hugos Kumpel & Laertes
Bernd Moss – Tony, Hugos Kumpel
Klaus Rodewald – Zuhälter, Hugos Kumpel
Thiemo Strutzenberger – Boxer, Hugos Kumpel
Jörn Knebel – Politiker, Hugos Kumpel
ALTONA – DIE BAND
Eno Dugnus – key & trp
Martin Engelbach – d
Erich Gramshammer – g
Johannes Huth – b
Buch, Regie und Bühne – Igor Bauersima
Musik und musikalische Leitung – Efim Jourist, Igor Bauersima und Band*
Video – Georg Lendorf
Licht – Anette ter Meulen
Mitarbeit Bühne – Eva Maria Henschkowski
Dramaturgie – Werner Feig
“Oh die See! – die Rock das Boot Show”, Premiere, Hamburger Schauspielhaus, 6.1.2006