Im Frühjahr 2020 hatten 47% der Menschen einen facebook account. In den USA waren es 68%, Australien und Lateinamerika lagen dazwischen. Durch weltweite Ausgangssperren seit Beginn des Jahres nahmen diese Zahlen weiter zu, und mehr Menschen den je verbrachten grosse Teile ihres möglichst keimfreien Daseins vor den kleinen und grossen Bildschirmen, da wo Sicherheit vor Viren durch McAffee, Avast, Norton & Co versprochen wird. Zusammen mit anderen digitalen Plattformen wie Twitter, Instagram, TikTok, Youtube, Pinterest, Snapchat, Whatsapp, Viber, Telegram, Signal, Zoom, Webby etc war praktisch die ganze Bevölkerung zwischen 10 und 100 Jahren verlinkt.
Die grossen Datensammler aller Provenienzen hatten noch nie so viel zu tun wie jetzt. Big Data hatte noch nie so umfassende Information über unsere Gewohnheiten, Vorlieben, Freundeskreise und Bewegungen wie jetzt. Und die digitale Dauerberieselung bot noch nie einen so fruchtbaren Boden für Viren des Intellekts.
Die scheinbar freie, unschuldige Welt der privaten Chats und Foren, der Präsentationen amateurhafter Kreativität, der lebensfrohen Fotos schön angerichteten Essens, der privaten, familiären, freundschaftlichen, schlauen, humorvollen, informativen und lehrreichen Posts der Benutzer wurde immer mehr zu einem dichten Nebel aus Clickbaits, Verschwörungstheorien, Lüge und Wahrheit. Die Manipulation der Massen war noch nie so einfach, Desinformation noch nie so effizient und unauffällig. Die Illusion, dass die Plattformen neutrale Anbieter sind schwand. Durch die eigene Zeitleiste scrollen bedeutete schon immer, dass das Banalste, das Genialste, das Gelogene und das Wahre einander abwechselnd die Hand reichten. Aber die Realität hatte sich der subjektivistischen, digitalen Oberfläche angepasst: Satire war von Realität kaum mehr zu unterscheiden, und Privates nicht von Werbung. Fake war gestern, Deep Fake ist heute. Die Chats und Foren waren schon immer Enthemmungsmaschinen um ungeahnte Tiefen auszuloten und Risse im sozialen Gefüge sichtbar zu machen. Aber die Gehässigkeit und Radikalisierung erreichten in den Kommentarverläufen jetzt neue Abgründe.
Der soziale Wandel, der sich in den letzten 20 Jahren anbahnte, entpuppte sich definitiv als Cultifizierung. Entstanden sind quasireligiöse, sektenähnliche Sippen der besseren Moral, Gruppen der grösseren Weisheit, Clans der letzten Wahrheiten, Stämme der Weltretter, Interessensvertreter des Verbrechens und Clubs der allwissenden Narzissten, die sich alle blindlings aber virtuell prügelten und herumkrakeelten ohne zu hören, bis sie sich in ihren eigenen Blasen nur noch gegenseitig der eigenen Überlegenheit versicherten wie Truppen vor dem Angriff.
Schliesslich war diese Überzeugung allseits gross genug und die Städte begannen zu brennen. Leute wurden massenweise an den digitalen Pranger genagelt, bespuckt, verbannt, Worte, Sätze, wissenschaftliche Erkenntnisse und künstlerische Werke wurden verboten. Folgerichtig gab es schnell Tote. Köpfe rollten und Leute verschwanden. Das Mittelalter war wieder da.
Die Aussicht auf eine baldige Entwirrung und Beruhigung der gereizten Seelen besteht nicht. Nachdem aus Chats, Debatten und Diskussionen eine weltweite Schlägerei der unbegründeten Meinungen geworden war, brach jetzt ein Weltkrieg um die Realität an sich aus. Die Sprache versagte. Ratio, Versöhnung, Frieden und Fortschritt? Für Viele ein Graus. Viel eher steuern die Einen wieder einmal bewusst oder unbewusst todessüchtig, hasserfüllt und selbstgerecht auf ein reinigendes Stahlgewitter der gröbsten Sorte zu. Und andere verkriechen sich in Gartenhäuschen, Videospiele und alte Filme, um dem Wahnsinn noch eine Weile zu entfliehen.
All das spiegelt sich in POST SCRIPTUM wieder. Das Stück spielt im Theater, im Garten eines Motels, auf der Weltbühne, online. POST SCRIPTUM ist absurdes Theater, ein Bildverlauf von scheinbar unzusammenhängenden Szenen, Texten, Bildern zwischen schwarzer Komik, Schönheit und Apokalypse: als würde der Zuschauer – ein Digitaljunkie der normalsten Sorte – einen bühnengrossen Bildschirm herunterscrollen. Gespielt wird gnadenlos und ohne Übergänge vom tierischsten Katzenvideo bis zum hochkulturellsten Gemälde der Klassik, Uninteressantes wird im Schnellscroll übersprungen, es wird zurückgescrollt um besser zu sehen, Werbung unterbricht wo es nicht passt, politische Posts werden zensiert, Accounts werden gelöscht und Identitäten gefälscht. Kommentare arten aus und live-feeds oszillieren zwischen peinlich, schockierend und gähnender Leere auf allen Kanälen. Auch wird Ausgeloggt, weil das reale Leben ruft. Es wird vom realen Dasein im Theater in eine reale Geschichte gekippt, um dann bei Desinteresse wieder zurück in die pathologische Scroll- und Zappgewohnheit zwischen verschiedenen Apps zurückzukehren. In all diesem Lärm hat jemand einen genialen Einfall, der nicht nur die Vernichtung der Menschheit verhindert sondern auch das Universum erklärt. Ausserdem ist das Faultier bei Minute 34 sehr süss.